Vorbericht aus dem Zollern-Alb-Kurier
HBW hat sich für das Schwaben-Derby viel vorgenommen - Emotionen pur
von Marcus Arndt
In Magdeburg verpasste der Balinger Handball-Bundesligist die Sensation und musste am Ende mit einem Punkt zufrieden sein. Zeit zum Lamentieren bleibt nicht: Am Sonntag steigt das schwäbische Derby.
Es ist wie so oft im Leben: Der Blickwinkel entscheidet. Während HBW-Coach Rolf Brack nach dem Unentschieden auf der Börde von „einer gefühlten Niederlage“ spricht, war sein Gegenüber Frank Carstens nach einer imposanten Magdeburger Aufholjagd „mit dem Punkt zufrieden“. Was blieb dem Heuberger-Assistenten auch anderes übrig: Mit einem 8:0-Lauf erspielte sich Balingen-Weilstetten einen ebenso komfortablen wie überraschenden 9:2-Vorsprung nach elf Minuten und ging schließlich mit 19:11 in die Pause. Gegen die taktischen Finessen des Sportwissenschaftlers von den Fildern, der konsequent den siebten Feldspieler brachte, fand der Ex-Meister einfach kein Mittel.
„Wir haben heute zwei grundverschiedene Halbzeiten und zwei grundverschiedene Gesichter des SCM gesehen“, analysiert Carstens, „aber mit dem Mut der Verzweiflung haben wir doch noch einen Punkt errungen.“ Der war mehr als glücklich, doch in den letzten fünf Minuten machte sich der Kräfteverschleiß der Schwaben doch deutlich bemerkbar. „Der Substanzverlust war einfach nicht zu kompensieren“, so Brack weiter, nachdem das 26:20 durch Kapitän Wolfgang Strobel in der Schlussphase der letzte HBW-Torerfolg blieb. Es hagelte nun Zeitstrafen gegen die Schwaben, „und dennoch habe ich gehofft, dass wir die Zeit irgendwie runter spielen“, räumt der 58-Jährige unumwunden ein. Doch der Tabellensechste drehte nun richtig auf: Andreas Rojewski und Bartosz Jurecki brachten Magdeburg 45 Sekunden vor dem Ende auf 25:26 heran. Und tatsächlich scheiterte Ösi-Bomber Roland Schlinger bei der letzten Balinger Offensivaktion an Gerrie Eijlers, Strobel handelte sich eine weitere Zeitstrafe ein und die Bördeländer nutzten den finalen Angriff zum Ausgleich. „Ganz bitter“, urteilte Brack nach dem letzten Wurf, „der durch die Hosenträger von Ziemer ging.“
Lange Zeit zum Grübeln bleibt dem Tabellen-14. nicht. Bereits am Sonntag (17.30 Uhr, SparkassenArena) steigt das Derby gegen Frisch Auf. Der EHF-Cup-Halbfinalist aus Göppingen unterlag am Mittwochabend dem VfL Gummersbach mit 30:39. Der Erfolg unter dem Hohenstaufen war für die Mannschaft von Emir Kurtagic bereits der siebte Sieg im achten Ligaspiel 2012 und macht den Klassenerhalt mit nun sieben Punkten Vorsprung auf die Abstiegsränge mehr als greifbar für die Oberbergischen. Für die Grün-Weißen hingegen rückt die Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb in weite Ferne erst recht, wenn Göppingen auch in Balingen ohne zählbaren Erfolg bleiben sollte.
Die Grün-Weißen fielen nach der Pause sukzessive zurück, fanden keine Mittel gegen einen engagierten VfL. Der kämpfte bedingungslos um jeden Ball, suchte angeführt von Christoph Schindler den kreativen Weg zum Tor und lag nach dem Treffer von Adrian Pfahl zum 21:16 (33.) erstmals mit fünf Toren vorn. Der Ex-Oßweiler war es auch, welcher zehn Minuten vor Spielende für die Vorentscheidung sorgte: mit dem 32:24. „Die Mannschaft hat ein unglaubliches Engagement gezeigt und absolut verdient gewonnen“, bilanziert Kurtagic zufrieden, während Frisch Auf-Coach Velimir Petkovic hadert: „Wir hatten heute kein Konzept in der Deckung, Torhüter und Abwehrverband waren nicht da und schlecht. Dabei habe ich meine Mannschaft vor dem VfL und deren Erfolgen in den letzten Monaten gewarnt.“
Und jetzt wartet der HBW auf den kriselnden Altmeister. „Die kommen mit Schaum vorm Mund“, prognostiziert Brack, der mit gemischten Gefühlen in das Prestigeduell mit dem Tabellenneunten geht. „Ich weiß nicht, wie unsere Leistungsträger die Belastung aus dem Magdeburg-Spiel wegstecken“, ist der Akademische Oberrat der Universität Stuttgart skeptisch, „vieles wird von der individuellen Zweikampfstärke abhängen. Göppingen ist von den Einzelspielern her deutlich stärker als Magdeburg.“ Dennoch seien zwei Punkte möglich, meint Brack, „dann wäre der Klassenerhalt zu 99 Prozent perfekt.“
Doch der 58-Jährige kennt die Branche nur zu genau und weiß: „Für beide Mannschaften geht es um unglaublich viel.“ Schon deshalb glaubt Brack nicht, „dass wir eine emotionale Überlegenheit haben.“ Aber vielleicht in der Abwehr, welche mit Rückkehrer Sascha Ilitsch an Stabilität gewonnen hat. „Es war schon eine beeindrucke Leistung von ihm“, lobt Brack, der sich dennoch Sorgen um seine Truppe macht: „Wir haben in Magdeburg 50 Minuten lang eine Topleistung gebracht. Ich weiß nicht, ob wir diese nach der kurzen Regenerationszeit wiederholen können.“