Ein harter Job

Der wichtigste Mann auf dem Feld

Vor einer Woche hatte der Handball-Bundesligist HBW Balingen-Weilstetten positive Nachrichten zu vermelden. Torhüter Matthias Puhle verlängert seinen Vertrag zu einem frühen Zeitpunkt um ein weiteres Jahr. Damit steht das Torhütergespann der „Gallier von der Alb“ bis mindestens 2014 fest. Milos Putera und Matthias Puhle werden den Kasten so sauber wie nur möglich halten. Warum ist das für den Verein so wichtig?

Ein Verrückter. Einer mit speziellem Charakter. Mehr Individualist als seine Mannschaftskollegen auf dem Feld – egozentrischer. Aber einer der zentralen und aussagekräftigsten Akteure im Handball: der Torwart. Die großen Stars sind die Angreifer wie Mikkel Hansen, Filip Jicha oder Christian Zeitz. Am Erfolg entscheidend beteiligt ist dennoch der Mann zwischen den Pfosten. Das belegt sogar die Statistik.

Zu viel Respekt

Nicht selten fliegt ein Handball mit 100 km/h auf den Torwart zu. Sein Ziel: Die Kugel an Händen, Füßen, Bauch oder Kopf irgendwie abzukriegen. „Wenn man das mit sich machen lässt, muss man ein wenig verrückt sein“, sagt Wolfgang Strobel, Kreisspieler beim HBW Balingen-Weilstetten. Er kann sich nicht vorstellen, sich das anzutun. „Ich hätte Schiss, sobald ein Wurf härter kommt“, fügt Strobel hinzu. Niemals würde er sich in einem Bundesliga-Spiel zwischen die Pfosten stellen: „Da habe ich zu viel Respekt. Ich glaube, das muss man von klein auf erlebt haben, um das mitzumachen.“

„Wer lässt sich schon gerne den Ball aus drei Metern an die Birne knallen“, fragt sich der Trainer des HBW, Dr. Rolf Brack, wenn er über die Charaktere seiner Schützlinge zwischen den Pfosten nachdenkt. Matthias Puhle ist einer der zwei Verrückten. Kontakt zum Handball hatte er bereits als kleines Kind. Die Mutter, der Vater und der Bruder spielten. Daher ist er gar nicht darum herumgekommen, selbst damit anzufangen. Die Torwartposition hat er sich aber nicht ausgesucht. Früher war er immer der Kleinste, der Schmächtigste und hatte auf dem Feld keine Chance. Er wurde also ins Tor geschickt. „Da kannst du wenigstens die Bälle rausholen, sagte mein Trainer immer“, erinnert sich Puhle.

Den Angreifer lesen

Heute spielt er in einer der stärksten Handball-Ligen der Welt und hütet abwechselnd mit Milos Putera das Tor der Balinger Mannschaft. „Man muss geil darauf sein, sich immer mit den Besten der Welt messen zu können“, beschreibt Puhle seinen Weg ins Profitum. Vollgas geben und immer besser sein wollen als die anderen. Schmunzelnd fügt er hinzu: „Und keine Angst vor dem Ball haben ist das Wichtigste.“ Die wertvollste Eigenschaft ist das Erkennen verschiedener Spielsituationen. Wie steht der Block, wie ist die Haltung des Werfers? „Man muss den Angreifer gut lesen können“, sagt Puhle. Besonders wichtig ist ein gutes Gedächtnis. Bei 17 gegnerischen Mannschaften mit einer Vielzahl von Angreifern müssen viele Wurfbilder verinnerlicht werden.

Während dem Spiel gehen bei dem 26-Jährigen die verschiedenen Wurfbilder des Gegenspielers durch den Kopf. Diese hat er sich über vorherige Videoanalysen genauestens eingeprägt. Vor jeder Partie schaut er die letzten drei bis vier Spiele des kommenden Gegners an und macht sich dabei Notizen. Dies gilt vor allem für die Schützen aus dem Rückraum. Bei einer Eins-gegen-Eins-Situation gelten andere Gesetze: „Da versuche ich mich in den Schützen hineinzuversetzen und überlege, wo ich hinwerfen würde.“ Entscheidet er sich richtig wird es zumeist schmerzhaft. Für Puhle aber kein Problem. Angst spielt dabei keine Rolle. Im Gegenteil – er verbindet Schmerz mit etwas positiven. Schließlich hat er den Ball dann meistens gehalten. „Das ist mir wichtiger als ein blauer Fleck. Außerdem stehe ich unter Adrenalin und spüre das dann nicht so“, erklärt Puhle.

Größter Zusammenhang

Der HBW-Trainer Brack weiß um die Wichtigkeit seiner Hintermänner. „Die Torwartposition zeigt sich bei der Analyse als extrem auffällig. Sie ist ausschlaggebend für den Erfolg“, beginnt Brack bei seiner Begründung. Die gehaltenen Torwartbälle erweisen neben vielen anderen Variablen wie technische Fehler, eigene Treffer und Fehlwürfe der Gegner, den größten Zusammenhang mit sportlichem Erfolg. Über drei Jahre hat Brack, der neben seiner Trainertätigkeit Dozent für Sportwissenschaft an der Universität Stuttgart ist, Daten gesammelt und ausgewertet. Damit beweist die Statistik: Der Torwart ist der wichtigste Mann auf dem Feld.

Wird die Liste der weltbesten betrachtet, liegt das Alter der Torhüter durchweg jenseits der 30. Für den HBW-Trainer ein Indiz, dass die Qualität mit zunehmenden Alter stark ansteigt. „Die Antizipationsfähigkeit steigt und der Torwart tut sich leichter mit der Frage, was zu tun ist“, erklärt Brack. Die taktische Relevanz kompensiert die physische Komponente. Das zeigt sich oft auf der spielleitenden Position Rückraum-Mitte. Laut dem HBW-Trainer ist das bei Torhütern noch extremer. Mit seinen 26 Jahren hat Puhle demnach viel Zeit sich einen gehörigen Erfahrungsschatz anzusammeln. Ihm stehen noch viele Jahre zur Verfügung, um seine Fähigkeiten weiter zu verbessern. Er kann zu einem großen Verrückten werden und dann als spielentscheidender Rückhalt zum wichtigsten Mann auf dem Feld.

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