Letztes Interview als Bundesligaspieler
Frank „Litty“ Ettwein – eine Balinger Legende hört auf
In der Handball-Bundesliga war er in den letzten acht Jahren bei allen angreifenden Linkshändern bestens bekannt: Frank „Litty“ Ettwein vom HBW Balingen-Weilstetten. Warum eigentlich? Er ist mit Abstand der kleinste Verteidiger auf der Halbposition – und der älteste… Wer glaubt, dass das zwei limitierende Faktoren sind, täuscht sich und hat bei der ersten Begegnung auf dem Feld keinen Spaß mit Ettwein. Größe und Alter spielen beim Ur-Gallier „Litty“ keine Rolle. 120 Prozent Leistung auf der Platte sind noch zu wenig. So hätte eines seiner Mottos lauten können. Ettwein gab immer Vollgas, lehrte seinen Gegenspielern das Fürchten und entwickelte sich zu dem Spieler, der den gesamten Verein HBW mit der Marke Gallier von der Alb lebt und verkörpert wie kein anderer. Nun ist für die Handballwelt aber der Zeitpunkt gekommen, sich von diesem Ausnahmespieler zu verabschieden. Und mit 36 Jahren kann Frank „Litty“ Ettwein das mit erhobenem Hauptes tun. Es folgt das letzte Interview als aktiver Bundesliga-Spieler:
Woher kommt eigentlich Ihr Spitzname „Litty“?
Also das ist jetzt 18 Jahre her. Damals hatte ich in meinem ersten aktiven Jahr beim TV Weilstetten während des Trainingslagers Probleme mit den vielen Einheiten. Ich kam aus der Jugend und war drei Mal Training die Woche gewohnt, plötzlich waren es aber drei am Tag. Da habe ich mir an der Innenseite der Oberschenkel einen Wolf gelaufen und bin dementsprechend mit großen O-Beinen durch die Gegend gewandert. Seitdem nannten mich meine Mitspieler der kleine „Litty“, weil mein Laufstil dem von Pierre Littbarski wohl stark ähnelte.
Wann stand fest, dass Sie nach dieser Saison Ihre Handball-Karriere beenden?
Die Entscheidung fiel erst vor wenigen Wochen. Mir wurde gesagt, dass ich zu 95 Prozent keinen Vertrag für die 1. Liga bekommen werde. Dementsprechend habe ich mich anderweitig orientiert, vor allem was das Leben nach meiner Karriere betrifft. Jetzt habe ich die für mich wahrscheinlich beste Lösung gefunden, da ich ab Juli in Vollzeit für PRO ACTIV arbeite. So kann ich den Handball vielleicht einmal aus einer anderen Perspektive betrachten.
Hätten Sie sonst gerne noch einmal eine Spielzeit drangehängt?
Ja, ich hätte gerne noch einmal ein Jahr gespielt. Ich war auch mit meinen gezeigten Leistungen zufrieden. Ob ich dann mit 37 Jahren zu alt bin, oder meine Leistung doch noch gereicht hätte, das haben andere entschieden. Vielleicht wäre der HBW nochmal auf mich zugekommen, wenn ich zu dem Zeitpunkt damals nicht entschieden hätte, dass ich auf Jobsuche gehe. Allerdings hätte ich nicht bis Anfang Juni warten können, ob es nun mit mir weitergeht oder nicht. Schließlich habe auch ich eine Familie zu ernähren und mit meinem neuen Arbeitgeber habe ich den perfekten Partner gefunden.
Auch wenn Sie momentan verletzt sind und nicht mehr auf der Platte stehen werden. Was ist das nun für ein Gefühl, wenn Sie genau wissen: Samstag steht das allerletzte Mal Handball-Bundesliga an?
Ich kriege schon Gänsehaut, wenn mir die Frage wie jetzt gerade nur gestellt wird. Das Gefühl dahinter kann ich noch gar nicht beschreiben und ich weiß auch noch nicht, wie das alles ablaufen wird. Deswegen lasse ich es jetzt einfach mal auf mich zukommen.
Wissen Sie auf Anhieb, wie viele Jahre Sie nun aktiv für den HBW bzw. den TV Weilstetten gespielt haben?
Ja, es waren genau 18 Jahre, also 18 Spielzeiten.
An was denken Sie denn besonders gerne zurück?
Da gibt es so vieles – ob Tolles, Lustiges oder Emotionales. Vor allem damals, als der Druck noch nicht so groß war. Dann natürlich die Aufstiege in die 2. Liga und nur wenig später ins Oberhaus. Und Siege gegen den THW Kiel oder Punktgewinne wie dieses Jahr in Hamburg vergisst man nicht so schnell. Berührt haben mich die Abschiede von Martin Strobel damals und letztes Jahr der von Benjamin Herth, mit dem ich zehn Jahre lang das Zimmer geteilt hatte.
Was war das Kurioseste, was Sie rund um den Handball-Sport erlebt haben?
Also diese Saison war es schon ein Kuriosum, dass wir so manches Spiel über die volle Distanz mit dem siebten Feldspieler im Angriff absolviert haben. Das war sicherlich auch für die Zuschauer ein Highlight. Was ich auch immer wieder kurios finde sind zum Beispiel Kempa-Pässe vom Torhüter auf den Tempogegenstoß-Spieler – genau so, wie es unsere Katze (Nikolas Katsigiannis) und Flo Billek perfekt beherrschen. Eigentlich sieht man so etwas nur einmal im Leben. Bei denen zwei habe ich es schon mehrmals in einem Spiel erlebt.
Wer war Ihr verrücktester Mitspieler und warum?
Wenn Sie mich jetzt nach dem verrücktesten Trainer gefragt hätten, hätte ich auf Anhieb jemanden gewusst (lacht). Das ist aber nicht abwertend gemeint! Dr. Rolf Brack hat mich in den neuneinhalb Jahren Zusammenarbeit sehr geprägt. Ich – und ich glaube auch der Verein – haben ihm sehr viel zu verdanken. Also ich muss sagen Jo Boisedu und Rock Feliho waren beide schon sehr extravagant und richtig verrückt. Die zwei sind bei meiner Liste ganz weit vorne. Es war einfach ihre Art, wie sie ins Training kamen: Rock hat zu 95 Prozent immer gelacht und hatte immer irgendeinen Spruch auf Lager. Wenn man mit denen zwei unterwegs war, war es immer lustig und wir hatten unheimlich viel Spaß.
Können Sie auf Anhieb eine Anekdote hervorzaubern?
Also in 18 Jahren kommt natürlich sehr viel zusammen. Manchmal ist es aber zum Wohle aller, wenn gewisse Sachen nicht an die Öffentlichkeit geraten. Wobei das immer schwer war, denn irgendwer hatte immer irgendetwas ausgeplappert. Da fällt mir ein, damals zur Regionalligazeit waren wir auf einem Turnier in Bayern. Angeblich sollen wir in der Nacht auf den zweiten Tag unseren Schlafplatz verlassen haben. Am nächsten Morgen fehlte eine Fahne vom sechs Meter hohen Masten und im Schlafsaal selbst, in dem alle Turnierteilnehmer untergebracht waren, blinkte die Nacht über eine Baulampe recht hell auf, die als vermisst gemeldet wurde. Wir haben am nächsten Tag von all den Sachen natürlich nichts mehr gewusst. Das Turnier hatten wir trotzdem gewonnen!
Die Frage, ob Sie etwas vermissen werden, sparen wir uns. Aber gibt es auch etwas, das Sie nicht vermissen werden?
Also ich bin eigentlich immer sehr gerne ins Training und zu den Spielen gegangen. Was ich aber nicht vermissen werde, sind die langen Busfahrten zu den Auswärtsspielen. Das war mit der Zeit eine Plagerei.
Über Sie wurde immer wieder gesagt, dass Sie die Tugenden der Gallier von der Alb wie kein anderer verkörpert haben. Haben Sie sich selbst auch so gefühlt?
Wenn einem das so lang genug eingeredet wird, dann glaubt man das auch (lacht)! Ich bin einfach ein Typ, der versucht alles zu geben, um aus sich selbst und dem Team alles rauszuholen. Das muss jetzt in Zukunft auch bei meiner Arbeit mein Ziel sein. Ich bin vom Wesen her einfach so und das werde ich jetzt weiterhin so durchziehen. Wenn diese Tugenden auch zum HBW passen, dann nehme ich das gerne auf mich. Ich wollte einfach immer gewinnen und wenigstens einmal in der Bundesliga spielen – das war mein Traum. Dass es jetzt acht Jahre geworden sind, dachte ich eigentlich nie.
Sehen Sie aktuell einen potentiellen Nachfolger in den Reihen des HBW oder der JSG Balingen-Weilstetten?
So auf Anhieb habe ich niemanden vor Augen, der mir ähnlich wäre. Aber wenn es kein Schwabe sein muss, dann würde ich sagen, dass Fabian Böhm noch am ehesten rankommt. Er kann das Emotionale transportieren. Er hat zwar nicht meinen Körper, aber man kann ja auch groß und trotzdem lustig sein.
Und einen Nachfolger im Sinne „einer der härtesten Abwehrspieler überhaupt“?
Ich habe gehört, es soll eine WhatsApp-Gruppe unter allen Linkshändern der Liga geben, die sich am 25. Mai treffen wollen, um die „Litty ist nicht mehr in der Bundesliga“-Party zu schmeißen (lacht). Der eine oder andere wird sicher froh sein, dass ich nicht mehr gegen ihn spiele.
Wie soll es denn mit dem Verein weitergehen ohne die Balinger Legende, ohne den Ur-Gallier, ohne Frank Litty Ettwein?
Der HBW gehört in die erste Liga. Das sagen selbst Weltmeister von 2007. Der Verein verkörpert etwas Spezielles: Wir heißen nicht ohne Grund Gallier von der Alb, unser Kampfgeist war immer ein zentraler Punkt. Wir kommen aus einem kleinen Dorf und versuchen gegen die Großstadt-Vereine zu bestehen. Wir wollten allen zeigen, dass es auch in Balingen Handball-Bundesliga gibt!
Werden Sie dem Verein in irgendeiner Form erhalten bleiben?
Das weiß ich gerade noch nicht genau. Ich würde schon gerne etwas im Verein machen. Was genau und in welcher Art und Weise, da sind wir gerade in Gesprächen. Ob es dann beim HBW bleibt, oder ich doch nochmal zu einem anderen Verein gehe oder sogar nochmal spiele, das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Wenn das Paket aber stimmt, bleibe ich dem Verein gerne erhalten. Der HBW bedeutet mir alles und hat es auch immer. Der HBW war für mich meine Familie! Das war hier in Balingen immer einmalig und ich glaube das ist so eine Sache, die mir einmal fehlen wird.